Super-komplexe Systeme und Zufall

Das Leben des Menschen wird aber nicht nur von Technologie bestimmt, sondern vor allem von Systemen, die der Mensch nicht erschaffen hat und deren Komplexität unvorstellbar viel größer ist als die von Technologie. Ich bezeichne sie als super-komplexe Systeme:

  • das Ökosystem der Erde
  • der menschliche Körper (sowie die Körper überhaupt aller Lebewesen)
  • die Gesamtheit aller Lebewesen als ein gigantisches System von Abhängigkeiten, bei dem die niederen Lebensformen aus anorganischen Stoffen organische Stoffe hervorbringen, auf denen die Existenz der höheren Lebensformen aufbaut

Diese Systeme sind so komplex, dass sie nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit eigentlich überhaupt gar kein gesetzmäßiges Verhalten haben dürften. Ihr Verhalten müsste vollständig unbestimmt (zufällig) sein. Und dennoch haben sie ein gesetzmäßiges Verhalten! Und nicht nur das: Sie verfügen darüber hinaus auch noch über machtvolle Selbstkorrektur-Mechanismen wie die Heilungsfähigkeit des menschlichen Körpers.

Das derzeitige wissenschaftliche Weltbild kann nicht erklären, auf welcher Grundlage das Verhalten dieser Systeme überhaupt möglich ist.

Das bedeutet, diese Systeme verfügen über eine Komponente oder einen Anteil, den das derzeitige wissenschaftliche Weltbild nicht abbildet und auch nicht wahrnimmt. Man könnte auch sagen: Sie verfügen über einen für den Menschen "unsichtbaren" Anteil.

Der Verstand stellt diese simple Überlegung nicht an. Er blendet sie einfach aus und tut so, als könne er super-komplexe Systeme genauso handhaben wie seine Technologie. Deshalb wachsen die Krisen und können die Probleme nicht gelöst werden:

  • Ökosystem der Erde: Klimakrise
  • menschlicher Körper: unheilbare Krankheiten wie Multiple Sklerose
  • Gesamtheit aller Lebewesen: Epidemien/Pandemien wie Corona

Super-komplexe Systeme haben eine vollkommen andere Existenzgrundlage als Technologie und erfordern deshalb auch andere Problemlösungsstrategien. Sie unterscheiden sich in zwei ganz wesentlichen Punkten von den Naturgesetzen und Technologie:

  1. Ihr Verhalten hat einen signifikanten nicht-gesetzmäßigen Verhaltensanteil, über den der Verstand keine Kontrolle hat. Das heißt, eine Bedingung bestimmt das Verhalten eines super-komplexen Systems niemals exakt, sondern immer nur innerhalb einer gewissen Spanne von möglichen Entwicklungen.
  2. Die Gesetzmäßigkeiten super-komplexer Systeme können sich im Laufe ihrer Anwendung verändern! Wenn der Verstand Gesetzmäßigkeiten anwendet, dann geht er vollkommen selbstverständlich davon aus, dass das Herstellen der Bedingung die Konsequenz zuverlässig herbeiführt. Wenn sich die Gesetzmäßigkeit aber inzwischen verändert hat, dann ist die Konsequenz eine andere!

BEIDES kann dem Ziel, das der Verstand mit der Anwendung einer Gesetzmäßigkeit anstrebt, entgegenwirken! Und beides hat der Verstand nicht unter Kontrolle. Genau das ist die Ursache, wenn rationale Strategien über Jahre und Jahrzehnte hinweg nicht zum Ziel führen. Ein Beispiel ist das Abnehmen mit einer Diät, wenn der Körper seine Nahrungsverwertung so umstellt, dass trotz immer weniger Essen (Bedingung) das Gewicht nicht abnimmt (Konsequenz).

Der Verstand schreibt sowohl den nicht-gesetzmäßigen Verhaltensanteil super-komplexer Systeme als auch die Veränderung ihrer Gesetzmäßigkeiten dem Zufall zu. Doch Zufall bedeutet Unwissenheit: Aus menschlicher Sicht ist nicht unterscheidbar, ob ein Verhalten tatsächlich zufällig ist oder ob nur die Bedingungen seiner Entstehung nicht erkannt wurden. Genau das meinte Sokrates mit seinem berühmten Satz: "Ich weiß, dass ich nicht weiß." Den Zufall zur Tatsache zu erheben bedeutet, nicht zu wissen, dass man nicht weiß.

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