Nicht-rationale Erkenntnis
Als nicht-rationale Erkenntnis bezeichne ich einen psychischen Transformationsprozess, bei dem das Verhalten von falschen Teilen der rationalen Weltsicht gelöst wird und die vom Verstand unterdrückten nicht-rationalen Teile der Psyche wie durch ein Wunder wieder aktiv werden. Das Wunder besteht darin, dass plötzlich etwas geschieht, das man nie und nimmer erwartet hätte:
- Das Verhalten ändert sich ganz leicht und mühelos. Sinnlose Anstrengungen werden durch tatsächlich wirksame Lösungen ersetzt. (Erlösung)
- Gleichzeitig tauchen wie aus dem Nichts (und insbesondere ohne angestrengtes Nachdenken) Informationen über die Realität im Verstand auf, welche den falschen Teil der Weltsicht durch Erkenntnis ersetzen.
Die Sicht auf die Welt ändert sich dabei grundlegend, weil einerseits Dinge geschehen, die laut rationalem Weltbild eigentlich nicht geschehen dürften (z.B. die Heilung einer angeblich unheilbaren Krankheit) und andererseits das dazugehörige Wissen plötzlich einfach so zur Verfügung steht. Im religiösen Kontext wird das als Gotterfahrung angesehen. In der Mythologie ist das die geheime Pforte, durch die man in ein magisches Reich gelangt. Dieses Bild ist ziemlich zutreffend, weil man sich, um dahin zu gelangen, auf eine Weise verhält, die aus rationaler Sicht vollkommen falsch ist und direkt ins Verderben führt. Schauen wir uns das im Detail an:
Gefühle verbinden das Verhalten mit der Realität. Die Realität teilt sich in "das Ich" und "die Welt". Das Ich interagiert mit der Welt und versucht dabei seine Absichten zu verwirklichen. Die Absichten des Ich folgen einem Potential, das aus der Wahrnehmung der Welt entsteht.
Es gibt Gefühle, die Verhalten antreiben bzw. verstärken und Gefühle, die das Verhalten ausbremsen bzw. begrenzen, z.B.
- Gefühle der Freude verstärken Verhalten, das zur Erfüllung des Potentials führt.
- Gefühle der Angst hindern das Verhalten daran, die Grenzen der Welt zu überschreiten und sich dadurch Schaden zuzufügen.
Gefühle sind wie ein zusätzlicher Sinn, auf den man sich genauso verlassen kann wie auf das Sehen mit den Augen. Der Verstand nutzt diese Informationen aber nicht, denn aus rationaler Sicht sind Gefühle ein Störfaktor, der dem Verstand unqualifiziert in die Verhaltenskontrolle hineinpfuscht:
- Einerseits widersprechen die emotionalen Informationen häufig der rational ermittelten "Wahrheit": Das Ich strebt über das Raster der Gesetzmäßigkeiten hinaus und Gefühle erfassen intuitiv zahlreiche Zusammenhänge, die rational gar nicht wahrgenommen werden.
- Andererseits kann der Verstand emotionale Informationen nicht interpretieren. Dafür sind andere Teile der Psyche zuständig: die nicht-rationalen Teile der Psyche.
Weil der Verstand die Gefühle als unvernünftigen Verhaltenseinfluss ansieht, der seiner rationalen Verhaltenssteuerung in die Quere kommt, versucht er sie irgendwie auszuschalten und ihren Einfluss auf das Verhalten zu unterbinden, z.B. durch Unterdrücken, Blockieren, Kompensieren oder Ablenken. Dadurch drängt der Verstand die nicht-rationalen Teile der Psyche aus ihrer Funktion. Sie werden wie stillgelegt.
Der Verstand trifft Verhaltensentscheidungen auf der Grundlage seines Weltbildes. Das Weltbild ersetzt beim Menschen die emotionale Steuerung des Verhaltens.
Wenn die gleichen Teile des Weltbildes immer wieder zum gleichen Verhalten führen, dann entsteht eine emotionale Bindung des Verhaltens an das Weltbild.
Es entwickeln sich Emotionen, die das Verhalten genau so an das Weltbild binden, wie es ursprünglich mal an die Realität gebunden war.
Diese Entwicklung basiert auf der grundsätzlichen Wirkung des Bewusstseins auf seine Umgebung: Wiederholungen führen dazu, dass Verhalten gesetzmäßig wird.
- In einem positiven Sinne bedeutet das, dass Verhalten vom Bewusstsein auf andere Energie-Elemente (z.B. Materie) übergeht und Bewusstseinsenergie (Aufmerksamkeit) für Neues frei wird.
- In einem negativen Sinn bedeutet das aber auch, dass Verhalten aus eingefahrenen Bahnen immer schwerer ausbrechen kann. Es kostet immer mehr Energie und Aufmerksamkeit, Verhalten zu ändern, je länger es bereits wiederholt wird. (Das ist kein Problem, wenn es sich um erstrebenswertes Verhalten handelt.)
In diesem Prozess spielen neben der Materie auch Gefühle eine Rolle. Es bilden sich nicht nur materielle Strukturen, welche mit ihren Gesetzmäßigkeiten das Verhalten übernehmen, sondern es bilden sich auch emotionale Strukturen, welche das Verhalten immer mehr an die durch Wiederholung eingefahrenen Bahnen binden. Der Verstand nimmt diese Gefühle gar nicht bewusst war, da sie ja vollkommen selbstverständlich mit seinen Ansichten in Übereinstimmung sind. Man begegnet diesen Gefühlen erst dann, wenn man aus rationalen Verhaltensmustern auszubrechen versucht und genau darum geht es im Folgenden.
Die emotionale Bindung des Verhaltens an das Weltbild ist überall dort kein Problem, wo das Weltbild mit der Realität übereinstimmt. Wo das Weltbild aber nicht mit der Realität übereinstimmt, bildet sich Verhalten heraus, das auf emotionaler Ebene richtig zu sein scheint, real aber negative Wirkungen hervorbringt. Diese Fehlentwicklung wäre eigentlich unabänderlich, da ja durch die emotionale Bindung des Verhaltens an das Weltbild rationale und emotionale Information in die gleiche falsche Richtung weisen. Zum Glück schafft es der Verstand aber nicht, die auf die Realität bezogenen Gefühle ganz auszuschalten. Die ursprünglichen emotionalen Informationen sind weiterhin unterschwellig vorhanden. Sie erscheinen nur stark in den Hintergrund verschoben und der Verstand mag ihnen auch keine Bedeutung beimessen, weil sie ja rational unbegründet sind.
Es mag auf rationaler Ebene schwer zu akzeptieren sein, aber auch Gefühle transportieren Informationen. Man kann fühlen, dass etwas so oder so ist. Rational begründete Gefühle fühlen sich anders an als Gefühle, die sich direkt auf die Realität beziehen. Deshalb fühlen manche Menschen, dass diese Emotionen von Bedeutung sind, obwohl sie nur verhältnismäßig schwach wahrnehmbar sind. Die Gewichtung von Rationalität und Emotionalität (Intuition) ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Der im Folgenden beschriebene Transformationsprozess basiert darauf, aufgrund der eher schwachen emotionalen Information über die Realität das Verhalten von einem falschen Teil der Weltsicht zu lösen. Das kann bedeuten:
- ein zwar rational begründetes, aber real völlig überflüssiges oder sogar destruktives Verhalten aufzugeben
- oder mit einem Verhalten zu beginnen, das der Verstand aus falschen Gründen heraus bisher blockiert hat.
Der Verstand bringt unzählige Verhaltensweisen hervor, die eigentlich gar nicht nötig wären und die deshalb negative Wirkungen hervorbringen. Die passende Bezeichnung für solche Verhaltensweisen ist Aktionismus. Auf der anderen Seite blockiert der Verstand Verhalten, welches das Ich eigentlich gerne ausführen würde. Genau das ist der Sündenfall: Die wirklich wichtigen individuellen Anliegen werden aufgegeben und durch rationalen Aktionismus ersetzt. Und nun geht es darum, wie sich diese Fehlentwicklung umkehren lässt.
Jedes Verhalten erzeugt Gefühle, die seine tatsächliche Wirkung auf die Realität anzeigen und diese Gefühle verstärken sich mit jeder Wiederholung.
- Blockiertes Potential bringt Depressionen hervor und mit jeder erneuten Blockierung verstärken sich die Depressionen.
- Aktionismus fühlt sich mit jedem sinnlosen Versuch immer mehr nach Aktionismus an.
Der Verstand ignoriert diese Emotionen, weil sie seiner "rationalen Scheinwahrheit" widersprechen. Das ist das große Problem des gegenwärtigen psychischen Entwicklungsstandes des Menschen: Der Verstand hält immer weiter an seinen falschen rationalen Strategien fest, auch wenn vollkommen offensichtlich ist, dass sie nicht funktionieren. Deshalb ist die Aufgabe an dieser Stelle, den verdrängten emotionalen Bezug zur Realität in sich zu finden, um ihn in Verhaltensentscheidungen mit einzubeziehen - auch wenn er rationalen Ansichten widerspricht. Da diese emotionalen Informationen in vielen Fällen schon lange Zeit ignoriert wurden, gibt es in jeder Psyche Verhalten, von dem eigentlich schon lange klar ist, dass es sich um Aktionismus handelt. Man hat es sich nur nicht eingestehen wollen. Und genau dort fängt man an.
Wenn man ein Verhalten ändert, das auf rationaler Ebene richtig oder sogar unbedingt notwendig erscheint, dann setzt das einen emotionalen Prozess in der Psyche in Gang. Man "kollidiert" mit der emotionalen Bindung des Verhaltens an die Weltsicht:
Der Verstand bringt negative Projektionen hervor, die zeigen sollen, was passieren wird, wenn man das rational vermeintlich richtige Verhalten aufgibt, und diese negativen Projektionen erzeugen sehr negative Emotionen. Genau das ist die emotionale Bindung des Verhaltens an die Weltsicht. Die negativen Gefühle haben die Aufgabe, das Verhalten wieder auf die Spur zu bringen, damit es der (an dieser Stelle falschen) Weltsicht folgt. Das ist dort, wo die Weltsicht mit der Realität übereinstimmt, durchaus eine sinnvolle Funktion. Aber hier geht es ja gerade darum, das Verhalten von einem falschen Teil der Weltsicht zu lösen. Und nun kommt es darauf an, mit dem emotionalen Prozess, der dabei entsteht auf die richtige Weise umzugehen:
- In dem Moment, wo ein "rational richtiges" Verhalten (z.B. Aktionismus) eingestellt wird, beginnt der Verstand negative Zukunftsprojektionen hervorzubringen. Er zeigt einfach die aus seiner Sicht negativen Konsequenzen der Verhaltensänderung auf.
- Die negativen Zukunftsprojektionen bringen negative Gefühle hervor. Normalerweise neigt der Verstand dazu, Gefühle auf irgendeine Weise zu beseitigen durch Unterdrückung, Ablenkung, Kompensation. Aber für diesen Prozess ist es wichtig all diesen Impulsen zu widerstehen und sich den aufkommenden Gefühlen zu öffnen.
- In dem Moment, wo man sich den negativen Gefühlen öffnet, werden sie immer stärker. Dadurch wird der Eindruck verstärkt, dass die negative Projektion des Verstandes zur allerschlimmsten Realität wird. Im Hervorbringen von Horrorszenarien und Dramen zur Durchsetzung seines (falschen) Weltbildes ist der Verstand ein wahrer Meister.
- Der Schlüssel für den Erfolg dieses Prozesses ist es, die Weltuntergangsszenarien des Verstandes auszuhalten und durch sich hindurchziehen zu lassen, ohne in irgendeiner Weise gegen sie anzukämpfen. Das führt zu einem Punkt, den ich als "Punkt des größten Handlungsdrucks" bezeichne. An diesem Punkt hat man das Gefühl, unbedingt sofort zurück in den Aktionismus verfallen zu müssen. Und wenn man das aushält und sich nicht verleiten lässt, zum Aktionismus zurückzukehren, geschieht das Wunder:
- Die Anspannung löst sich mit einem Schlag auf. Ruhe, Gelassenheit und Frieden kehren ein in einer Tiefe, die auf rationale Weise nie erreichbar ist. All der gigantische Druck fällt von einem ab. Der falsche Teil der Weltsicht löst sich einfach auf und mit ihm natürlich auch der irreführende Einfluss auf das Verhalten. Aktionismus ist ja eine sinnlose Energieverschwendung, die verhindert, dass die Energie für die wirklich wichtigen "Herzensdinge" eingesetzt wird. Man wird von Anspannung, Last und Stress befreit. Und das ist aber noch nicht alles:
- Der falsche Teil der Weltsicht verschwindet nicht einfach nur, sondern wird durch einen neuen Teil ersetzt. Es stellt sich Erkenntnis über die wahre Natur der Realität ein. Und obwohl es sich dabei nicht um einen wissenschaftlichen Beweis handelt, weiß man in aller Klarheit, dass das der Wahrheit sehr viel näherkommt, als was man vorher für richtig hielt. Es ist eine Form von "innerer Wahrnehmung der Realität" oder auch "innerem Sehen".
Der Schlüssel zum Gelingen dieses Prozesses ist, eine Situation auszuhalten, in der man sich scheinbar vollkommen falsch verhält. Der rationale Verstand hält seine Weltsicht für die Realität. Wenn sich das Verhalten von der Weltsicht löst, spult der Verstand ein psychisches Weltuntergangsdrama ab, das leicht mit der Realität verwechselt werden kann. Die Illusion, dass das Allerschlimmste nun unaufhörlich auf einen zurollt, wird sehr überzeugend dargestellt. Überall dort, wo das rationale Weltmodell mit der Realität übereinstimmt, wäre das ja auch tatsächlich der Fall.
Nicht immer löst sich ein falscher Teil der Weltsicht auf diese Weise "in einem Rutsch" auf. Manchmal braucht es mehrere Durchläufe, wobei das erste Mal immer das Schwerste ist, weil man das Ende noch nicht kennt.
Einer Sache muss man sich dabei unbedingt bewusst ein:
Der Einfluss der Gefühle auf das Verhalten ist eigentlich eine lebensnotwendige Funktion der Realität! Man darf nicht dem Irrglauben verfallen, Gefühle nicht mehr ernst nehmen zu müssen und jeglichen Einfluss der Gefühle auf das Verhalten auf diese Weise auflösen zu können. In dem soeben beschriebenen Prozess löst sich das Verhalten von Gefühlen, die aus einer falschen Weltsicht hervorgehen. Aber die emotionale Verbindung mit der Realität behält ihre grundlegende Bedeutung. Es kann nämlich auch durchaus sein, dass man sich irrt. Es könnte passieren, dass man auf diese Weise ein Verhalten loszuwerden versuchte, das gar nicht auf einem rationalen Irrtum beruht, sondern auf der Realität selbst. Zum Glück regeln das die Gefühle:
Die beschriebene Auflösung des Gefühlsdrucks geschieht nur bei Gefühlen, die rein rational begründet sind. Die emotionale Verbindung zu Realität lässt sich nicht auflösen, sondern nur unterdrücken. Solange man aber in diesem Prozess für die Gefühle offenbleibt, kann man nicht fehlgehen, denn anstatt sich aufzulösen, verstärken sich reale Gefühle immer weiter, je weiter man in die Irre geht. Gefühle können eine Intensität und Dimension erreichen, die sich kaum jemand vorstellen kann, weil ja der Verstand die Gefühle permanent kleinzuhalten versucht. Wenn Gefühle wirklich gefühlt werden, anstatt sie zu blockieren, dann transportieren sie auch Informationen. Wenn man gegen reale Gefühle anrennt und dabei die ganze Zeit offen für sie bleibt, kommt ein Punkt, an dem man seinen Irrtum in aller Klarheit erkennt. Es ist eben ein Unterschied, ob man mit einem falschen Teil seiner Weltsicht oder mit der Realität selbst kollidiert. Wenn man diesen Prozess erst mal wirklich verstanden hat, kann man mit Hilfe seiner Gefühle Grenzbereiche austesten, um herauszufinden, wo die Grenzen der Realität verlaufen und wo man sich selbst einschränkt.
In der Regel bezieht sich ein Durchlaufen dieses Transformationsprozesses jeweils auf einen ganz spezifischen Teil der Weltsicht. Entsprechend ändert sich dadurch auch nicht die ganze Weltsicht, sondern nur der betroffene Teil. Wenn dieser Prozess aus verschiedenen falschen Teilen der Weltsicht heraus wieder und wieder abläuft, dann setzt das einen fundamentalen, tiefgreifenden Transformationsprozess der Psyche in Gang: Die vom Verstand unterdrückten nicht-rationalen Teile der Psyche erwachen immer mehr aus ihrer Dauerblockade und verbinden sich dabei mit dem rationalen Verstand. Diese Verbindung ist das eigentliche Wunder: Der rationale Verstand wird dadurch immer mehr in die Lage versetzt, den nicht-materiellen Teil der Realität nicht nur wahrzunehmen, sondern auch zu verstehen und in seine Verhaltensentscheidungen einzubeziehen. Das rationale Modell verändert sich fundamental und damit auch die gesamte Wahrnehmung der Realität.
Anmerkung: Man kann nicht erst die Weltsicht (das Denken) ändern und dann ändert sich das Verhalten. So herum funktioniert es nicht. Das ist der Irrtum vieler "Erfolgsrezepte" wie zum Beispiel dem positiven Denken oder dem Aufspüren und Ändern von Glaubenssätzen. Man kann nicht erst den Glaubenssatz ändern und dann ändert sich das damit verbundene Verhalten. Nein, man ändert das Verhalten und dann löst sich der falsche Glaubenssatz auf. Das hängt damit zusammen, dass die Weltsicht sich sozusagen "materialisiert", wenn sie lange das Verhalten bestimmt (Wiederholungen machen Verhalten gesetzmäßig). Die entsprechenden Verbindungen im Gehirn sind sehr stark und stabil. Man kann sie nicht einfach willentlich lösen. Aber der oben beschriebene emotionale Prozess - der kann das.